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Von Paul Martin, in "Die
Hoheitszeichen der Freien Stadt Strassburg" Neben den rot-weißen Stadtfahnen, die als militärische Hoheitszeichen der Stadt Strassburg die erste Stelle einnahmen, verdienen die Zunftfahnen als Zeichen der militärischen Unterabteilungen, aus denen sich das städtische Heer zusammensetzte, beachtet zu werden. Wie in anderen deutschen Städten beruhte auch in Strassburg die Organisation des Kriegswesens auf den Zünften, die sich aus den bischöflichen Handwerkerämtern des 12. Jahrhunderts herausentwickelt hatten und neben den berittenen, meist adeligen „Constoflern“ unter ihren Zunftmeistern das Fußvolk stellten. Die städtischen Zünfte waren in Strassburg schon zu Anfang des 14. Jahrhunderts eine wohlbewaffnete und vollkommen geordnete Streitmacht. Die Zünfte rückten, nach Handwerken geordnet, unter ihrem eigenen Zunftbanner aus, das im Fahnenfeld das Zunftzeichen oder Wappen, ein Gerät oder auch den Schutzheiligen darstellte. Mit solchen „banieren“ ausgerüstet haben „Burgere und Antwerglüte“ bei Hausbergen 1262 für die Stadtfreiheit gestritten. Durch die sogenannten Zunftkämpfe kamen die Handwerker mehr und mehr und in stetem Gegensatz zu den Geschlechtern und Adeligen zur Macht im Stadtregiment. Das Stadtrecht von 1322 führte die militärische Dienstpflicht für die Constofler, wie für die Handwerker ein und „wer nit diende, noch mit pferde zöge .. söllent meister und rot darzu halten, das sie dienen und tunt als vorgeschriben stat ...“. Zunftbanner und Zunftwappen der Stadt Strassburg enthielten meistens die Stadtfarben rot und weiß (oder Silber), womit auch äußerlich die Zugehörigkeit zur städtischen Gemeinschaft ausgedrückt war. Die Zunftfahnen als militärische Erkennungszeichen einer städtischen Unterabteilung lassen auf das Vorhandensein solcher Fahnen vor den Zunftwappen schließen, die sonst für das Elsass nicht früher als für den Anfang des 15. Jahrhunderts nachgewiesen werden können. Die älteste Darstellung ist uns durch einen der Seupel'schen Stiche zu Schilters Chronik um 1698 überliefert.
Es handelt sich um die Wiedergabe eines Glasgemäldes, das sich auf der Stadtbibliothek befand und im Brande von 1870 vernichtet wurde. Die achtteilige Glasmalerei zeigt in der oberen und unteren Reihe die auf Karren sitzenden Bannerträger von 20 Zünften und hoch zu Ross 10 Bannerträger der Constofeln mit den Fahnen ihrer „Stuben“ oder Versammlungslokale. Hierzu berichtet Schilter: „Item Etliche oblange gemahlte Fenster / worin obangeregter Zug und das Carrocium enthalten ; so unter Herr Bechtold Schwarber Anno 1336 damahligem Staettmeister f als sich die Stadt wider Bischoff Bertold von Bucheck gerüstet mag entstanden sein...“. Schilter verweist in seiner Chronik (S. 308) noch auf eine andere Stelle für das Jahr 1334 : „Under dem kam, die gewonheit us das die antwerglüte uf wegene wurdent ritende wenne man uszogete in reisen, wan vor-mals giengent sü zu fusse“. Sicherlich wurde damals das Fußvolk der Zünfte bei Kriegszügen auf Wagen befördert, doch irrt Schilter, wenn er diese „wegene“ des Glasgemäldes für das „Carrocium“ hält. Da schon im Hortus Deliciarum von 1200 ein solcher Kriegswagen abgebildet ist, war diese Art der Beförderung von Kriegsleuten schon früher im Gebrauch.
Die Fahnenbilder dieser Scheibe erlauben uns, durch den Vergleich mit einer Holzschnittreihe aus der zweiten Hälfte des 16. und dem 17. Jahrhundert, die dargestellten Zünfte zum größten Teil zu bestimmen. Von links nach rechts erscheinen folgende Zunftbanner, deren Farben unter Heranziehung eines Wappenbuches der Ammeister des 17. Jahrhunderts, das sich im Historischen Museum der Stadt Strassburg befindet, angegeben werden können:
Es folgen die Banner der verschiedenen Stuben der Konstofler, von denen leider nur einige einwandfrei zu bestimmen sind: die Constofel zu St. Peter (fünfter Reiter von links), daneben die „Pfaffen“ mit dem Kreuzbanner, dessen mittlerer Arm sich schwenkelartig nach außen verlängert, die Constofel zum Mühlstein (siebter Reiter von links), die zu St. Niklausen (neunter von links). Was die zehn Reiterfahnen anbetrifft, berichtet Schilter, „ist deren Wappen keines ausser der Wasicher (deren zwene Rudolf anno 1368 und Walther anno 1381 das Ammeister-Ampt getragen) zu erkundigen gewesen ; daher viel mehr zu glauben, dass es Wappen derjenigen Hauptleute, so der Stadt Strassburg Paner bey solchem Feldzug beglaitet, müssen gewesen sein“. Die Fahne mit den Wappenzeichen der Familie Wasicher ist die drittletzte der Scheibe. Unter den Fahnen, die den Querbalken führen, der dem Schildbild des Stadtwappens entspricht, könnten die Geschlechterbanner der Kageneck, Uttenheim oder Wetzel von Marsilien dargestellt sein, doch könnte auch eine dieser Fahnen das „Stattvenlin“ selbst sein : „Dis teil sol sin zu rosz by Cunen von Kolbotzheim und sollent ... der stette venlin by in haben ... diese wartent alle uff die lauer“ (Aufstellung von 1392). Die allein stehende Figur dieses berittenen Bannerträgers ließe darauf schließen. Nach Schilter wurde die Zahl der Zünfte, die 1382 aus 28 Stuben bestanden, 1463 und 1471 um je zwei Zünfte vermindert. 1471 wurde eine Rangordnung bestimmt, bis die endgültige Zunftordnung von 1482 die Zahl auf 20 festsetzte. Obwohl auf der Glasmalerei gerade 20 Stuben mit ihren Fahnen dargestellt sind, besteht kein Grund, die Scheibe in das Ende des 15. Jahrhunderts zu datieren. Schilter gibt an, dass sie 1336 „mag entstanden sein“, doch ist dieses Datum in Anbetracht der profanen Darstellung, vor allem aber wegen der Bewaffnung der Bannerträger viel zu früh angesetzt. Seupel hat auf seinem Stich verschiedene Einzelheiten der Bewaffnung und Ausrüstung, zum Beispiel die Handschuhe oder Ellbogenkacheln, missverstanden und dementsprechend falsch gezeichnet. Die Reiter aber tragen deutlich erkennbar den vorn zugeknöpften Lentner und dazu als Kopfbedeckung die für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts charakteristische Beckenhaube mit Brünne. Vergleichen wir diese Darstellungen mit den Ritterfiguren in der St. Agnes-Kapelle in Königsfelden (Schweiz), die kurz nach 1386 gemalt worden sind und die bei Sempach 1386 erschlagenen Ritter darstellen, so ergibt sich eine völlige Übereinstimmung aller Einzelheiten. Erweitern wir diesen Vergleich noch durch die erste Kriegerfigur des Straßburger Schwörbriefes von 1399, so darf man für das Glasgemälde ein Entstehungsdatum zwischen 1386 und 1399 annehmen. Für Strassburg aber war das Jahr 1392 von großer Bedeutung 147). Von außen ernstlich bedroht musste die Stadt aufrüsten, und die genauen Verordnungen zu dieser militärischen Aufrüstung sind uns im Stadtarchiv erhalten. Die Stadt wurde von König Wenzel, Brun von Rappolstein, dem Bischof Friedrich von Blankenheim und anderen Fürsten und Herren eingeschlossen und belagert. „Aber die wehrhafte Stadt war auf dem Platze ; die Belagerer mussten mit Spott und Schaden abziehen“. Diese Aufrüstung konnte die Anfertigung eines derartigen Glasgemäldes gerechtfertigt haben, dessen Datierung um das Jahr 1392 dann nichts mehr im Wege stünde. Wie aus den Aufrüstungsverordnungen von 1392 und 1394 hervorgeht waren den Zunftbannern, wie dem Hauptbanner, den „stette venlin“ besondere Fahnenwachen zugeteilt. Dafür einige Beispiele im Auszug :
1392.
„Dise zwolfe sollent gen vor der meister baner ...“
1394 »
Dise nochgeschribenen personen sullent bi her Johans von Kageneck dem meister
sin unt bi der baner, ebe es zu strite keme : Im Jahre 1402 kam es wegen Uneinigkeiten zu einem Bannerstreit zwischen den Steinmetzen und Maurern. Letztere hatten sich des Zunftbanners bemächtigt und verweigerten dem damaligen Zunftmeister Ulrich von Ensingen, der als Werkmeister und Erbauer des Münsterturmes weithin bekannt war, den Gehorsam. Er wandte sich an den Rat der Stadt, der den Streit dahin schlichtete, dass das Banner an die Steinmetzen zurückerstattet werden musste, und die Maurer fürderhin eine eigene Zunft bilden sollten. Sobald die Sturmglocke des Münsters ertönte, mussten die Zünfte geharnischt und gewaffnet zu ihren Sammelplätzen eilen. So ordnet es das zweite Buch der Tucher 1437-1453 an, dass „alle, die mit unseren Andwerck dienern; zu unserem baner gangent, so es bürnet (brennt) oder andes“. Lange verlautet nichts mehr von den Zunftfahnen, bis der seit langem geführte innere Kampf durch die neue Stadtverfassung von 1482 und die endgültige Gliederung der Zünfte in 20 Stuben seinen Abschluss fand. Die Zahl der militärischen Constofeln wurde damals auf 10 angesetzt. Alljährlich machte der Ammeister am ersten Sonntag nach dem Schwörtage eine Umfahrt bei den städtischen Zünften auf allen Zunftstuben und hielt bei dieser Gelegenheit eine Ansprache, welche er von Zunft zu Zunft wiederholte. In diesem des „Ammeisters Spruch“ von 1482, gedachte er, wie der Chronist Sebald Büheler berichtet, auch der Zunftbanner: „Ich wil euch auch fründtlich bitten, so ein geschöll würde, oder man feurs halben uff dem Münster stürmen würde, das dan der Almechtige Gott lang verhuetten wölle, die ier wölen fürder-lichen mit euerem banner für das Münster oder an ordt und endt, do dan ein jeder hein bescheiden, ziehen, und aldo meiner Alten Herren und mein erwarten, auch den haubtleuten so dan euch verordnet sind, gehorsam sein, und wan man euch wider erlaubt, mit euerem banner uff die Stuben oder nach euerer gewohnheit ziehen, darmit dasselbige nicht allein oder an steuer gange, wie dan bisher etwan Geschehen.“ Nach diesem Text versammelten sich bei Kriegs- oder Feueralarm die Zünfte, um ihr Banner geschaart, vor dem Münster oder an dem ihnen zugewiesenen Ort. Dort stellten sie sich in Rangordnung auf, bis ihnen die entsprechende Weisung zum Ausmarsch oder zum Einschreiten zukam. Da es hierbei öfters zu Rangstreitigkeiten zwischen den einzelnen Zünften, ja sogar beim Sturmläuten zu Unordnungen kam, gab der Rat der XV im Jahre 1525 eine neue Regelung. In dieser heißt es von den Fahnen: „Es sähe auch die Fünfzehn für guet an, der fänle halb die nit mal inn gebruch, dardurch vil gespey und verachtung erwachs-sen . Das die Zunff t der nüer gättlichen (passenden) fänle hatte, doch in zimlicher glicher grösse also das kein fänle über L oder LX den Statt Zendel (Taffet) hett /.“ Es mussten also die Zunftfahnen neu beschafft werden, und keine durfte mehr als 50 oder 60 Stadt-Zoll (1,2o m oder 1,45 m) Seidentaffet messen. Bisher hatte der Zunftmeister oder der Büttel die „fan“ zum Sammelplatz vor dem Münster gebracht, jetzt soll jede Zunft einen „fähnrich“ ernennen, der die Fahne zu tragen hat und : „soll auch ein ieder (fähnrich) daz fänlin Im sin huse haben und zu Zytte des Sturmes fürderlichen zu und umbgeschlagen (zusammengerollt) für das Münster tragen und doseibst dz uff thun und fliegen lassen“. Noch 1532 heisst es in einem Entwurf zu einem Tucherbuch der Tucher- und Weberzunft :
„Alle
die myt uns dienen sollen zü unserem paner kumen so man stürmet (stürmt)“. Alljährlich mussten die wärschaften Bürger und Zunftangehörigen der Stadt zur Musterung in voller Bewaffnung auf dem sogenannten „Schiessrain“ antreten. Dort wurden sie zunftweise ordnungsgemäß aufgestellt, gemustert und dann zogen sie, wie Sebald Büheler 1543 berichtet, mit fliegenden Fahnen wieder zum Judentore hinein durch die Stadt : „Vor dem vordern Haufen wurden zwei ; in dem mittleren drei und in dem letzten wieder zwei Fahnen neben einander hergetragen. Unter den Fahnenträgern erkannte ein Jeder Wendling Scheck, der das Jahr zuvor der Stadt Fähndrich gewesen in dem ungarischen Feldzuge, zu welchem Strassburg dem Kaiser ein Fähnlein (d. h. eine Kompagnie) geschickt hatte. Die übrigen Fahnenträger waren Kraft Müller, der Buchdrucker in der Kalbsgasse, Meister Philipp, der Scherer vom Stephansplan, der lange Konrad, der Metzger, Andreas Heller, der Fürsprech vor dem grossen Rath, ein hochgewachsener, stämmiger Schiffsknecht und ein Siebenter ebenfalls Ungenannter. Das Kommando führte Daniel Silberkrämer, genannt Suter, der Stadt Hauptmann, derselbe, der den italienischen Feldzug von 1527 unter dem Herzog von Bourbon mitmachte, die Engelsburg belagern half und als Beute einen päpstlichen Ring von Rom mit-brachte, der noch auf der Stadtbibliothek verwahrt wird. An der Spitze der Stadtsöldner ritt als oberster Feldherr Juncker Ulmann Böcklin von Böcklinsau, Alt-Stettmeister, dazumal der Stadt oberster Kriegsrath « 153). L. Schneegans, denn wir diesen Auszug aus Bühelers leider nicht mehr vorhandener Chronik verdanken, teilt uns noch ein gleichzeitiges Gedicht mit, dessen erste Zeilen ein lebendiges Bild jener Musterung beim sogenannten „Wickhäusel“ entwerfen :
„Als mann
zalt fünffzehen hundert Jar, Bereits zu Anfang des Jahrhunderts war die Bezeichnung „Fähnlein“ von dem Zeichen auch auf die taktische Einheit (später die Kompagnie), die es führte, übertragen worden. Leider wissen wir nicht, wie alle diese Feldzeichen ausgesehen haben. Vielleicht führten sie die verschiedenen charakteristischen Geräte und Zunftzeichen, wie sie uns in einer Reihe von Holzschnitten vom Ende des r6. und 17. Jahrhunderts bekannt sind. Es scheint als sei man im Anfang des 17. Jahrhunderts von diesen Zunftabzeichen auf den Fahnen abgekommen, die jetzt den damals beliebteren, oft zwei bis drei Quadratmeter großen, gestreiften Fahnen Platz gemacht haben. Mit solch einer Fahne ist der Fahnenträger der Schneiderzunft Julius Reichert 1627 auf einer Miniatur des „Goldenen Buches der Schneiderzunft“ in der Stadtbiliothek von Schlettstadt dargestellt. Die Fahne ist in den Farben des Zunftwappens mehrmals gelb, - weiss, rot gestreift, während der Fähnrich selbst in rotem Wams und in roten Hosen, beide mit weissen Unterfutter, sowie roten Strümpfen also in den Stadtfarben, gekleidet ist.
Um die Mitte des 17. Jahrhundert verloren die Zünfte auch in Strassburg ihre militärische Bedeutung. Da sie nicht mehr die Träger der städtischen Wehrverfassung waren, hatten auch die Zunftfahnen keinen militärischen Sinn mehr. Als Korporationsfahnen, die nur bei geselligen Umzügen lustig im Winde flatterten, überlebten sie lange die Kapitulation Straßburgs von 1681. Im Zusammenhang mit den Zunftfahnen mögen hier die frühesten bekannten, farbigen Straßburger Zunftwappen aufgeführt werden. In Strassburg scheinen letztere auf die Zunftbanner zurückzugehen und zeichnen sich, wie in anderen Städten, durch ihre langandauernde Veränderlichkeit aus, bis sie schließlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts feststehend wurden. Die vorherrschenden Farben blieben, mit drei Ausnahmen, rot und weiß, auch sind für die meisten städtischen Zunftwappen Helmzierden bekannt, eine für diese Wappengattung seltene Ausnahme. Wir folgen hier der Rangordnung der Zünfte von 1471 und 1482. Für die Wappenfarben ist in der Hauptsache das Wappenbuch der XX Zünfte, das sogenannte Ammeister-Wappenbuch vom Ende des 17. Jahrhunderts im Historischen Museum der Stadt Strassburg maßgebend, für die Helmzierden die anonyme Holzschnittreihe aus dem Ende des 16. Jahrhunderts und dem 17. Jahrhundert, die in C. F. Heitz „Das Zunftwesen in Strassburg“, 1856 veröffentlicht worden sind.
Es erübrigt sich, hier des Näheren auf die willkürlich festgelegten, französischen Wappenverleihungen von 1696 an die verschiedenen Zünfte einzugehen, da die Zünfte mit Vorliebe ihren alten Wappenzeichen und Farben treu blieben.
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